Cinema - Kino für die Ohren: Matthias Keller: Das Gesicht zur Stimme

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Filmmusik, Musikproduktion & Dokumentation





Stars and Sounds:  Filmmusik - die dritte Kinodimension

Aus dem Inhalt

Filmmusik - eine Notwendigkeit oder lästiges Beiwerk?

"Es ist beinahe unmöglich, Filme ohne Musik zu machen. Filme brauchen den Zement der Musik. Ich habe niemals einen Film gesehen, der ohne Musik besser gewesen wäre. Sie ist ebenso wichtig wie die Bilder" (Bernard Herrmann)

Als Steven Spielberg kürzlich für sein Lebenswerk den "Life Achievement Award 1995" vom American Film Institute verliehen bekam, dankte er vor allem seinem Cutter und seinem langjährigen Filmkomponisten John Williams. In der Tat: ohne Williams´ klingenden Beitrag hätte diese phänomenale Karriere womöglich niemals stattgefunden. Eine Erkenntnis, die sich ohne weiteres übertragen lässt auf das Werk anderer Regisseure, wie beispielsweise das Alfred Hitchcocks, über dessen Filme Elmer Bernstein sagt, dass sie erst durch Bernard Herrmanns Musik das wurden, was sie sind. Derartige Aussagen sind natürlich Wasser auf die Mühlen der immer größer werdenden Filmmusikgemeinde, und an entsprechenden Credos (üblicherweise von den Filmkomponisten) mangelt es weissgott nicht.

Nun darf man aber inzwischen, im Zeitalter musikalischer Übersättigung auch und gerade durch die Massenmedien Film und Fernsehen, durchaus seine Zweifel haben an der unerschütterlichen Gültigkeit solcher Standpunkte. Mag sein, dass zu Herrmanns und Hitchcocks Zeiten die Filmkomponisten noch gewissenhafter zuwerke gingen, ja dass vielleicht überhaupt nur diejenigen eine Rolle spielten, die tatsächlich den sprichwörtlichen "siebten Sinn" fürs Dramatische und für den richtigen Musikeinsatz an der richtigen Stelle besaßen. Heute jedoch ist die Musik vielfach zu einer Art "Gleitmittel" verkommen, sei es, um mangelhafte Drehbücher aufzuwerten, schlechte Schnitte zu kaschieren oder einfach aus den bereits erwähnten kommerziellen Gründen: jedenfalls lassen sich genügend Beispiele finden, in denen die Filmmusik - oder nennen wir sie lieber akustische Untermalung - besser geschwiegen hätte. 1492 - Die Eroberung des Paradieses mit den Klängen von Vangelis ist nur eines von vielen. Denn hier passt kaum etwas zueinander, und dem kritischen Betrachter stellt sich alsbald die Frage nach der dramaturgischen Notwendigkeit vieler Musikeinsätze - abgesehen davon, dass die Musik in ihrem Gestus ein viel zu ausgeprägtes Eigenleben führt und somit das gerade Gegenteil einer echten Filmscore ist. Selbst dort, wo sich im betreffenden Film beides - also Bild und Sound - binden könnte, ja die Musik sogar für einige Augenblicke der Handlung so etwas wie einen übergreifenden Spannungsbogen verleihen würde, wird dieser Effekt durch die ständige Präsenz der Geräusche (in bester Surroundqualität selbstverständlich) zunichte gemacht. Der Film bleibt prosaisch von Anfang bis Ende, wenn auch das Soundtrack-Album anschließend zum Verkaufshit wurde.

Wer, wie der Autor dieses Buches, eine zeitlang als Musikberater bei einer Fernsehanstalt tätig war, der weiß, wie hartnäckig sich in unserem alltäglichen Konsumverhalten bestimmte filmmusikalische Klischees etabliert haben. Ob Werbespot, Jingle oder Infotainment: immer ist Musik dabei. Kein Nachrichtenprogramm ohne Erkennungsmusik, keine Magazinsendung ohne entsprechende Musikkürzel, keine Gameshow, keine Fernsehdiskussion, kein Skandalreport, kein Sportmagazin ohne tönenden Untergrund oder tönendes Vorspiel - ja selbst die sogenannten Dokumentarfilme operieren vielfach mit mehr oder weniger unterschwelligen musikalischen Zusatzinformationen.

"Besonders schlimm ist die üblich gewordene Musikberieselung in sogenannten "Sachbeiträgen", etwa bei Berichten über das Leben von Tieren, Personenporträts, Geografiesendungen und Ähnlichem. Vielleicht könnte Abhilfe geschaffen werden durch Einführung von Geräten, die nur die Sprache nicht aber die Töne durchlassen - oder auch einfach durch Hebung des kulturellen Niveaus von Regisseuren und Filmemachern." (Brief eines Fernsehzuschauers)

Abhilfe, so ist zu befürchten, kann hier kaum geschaffen werden. Denn zu sehr hat sich der Medienbetrieb bereits eingeschossen auf die Verwendung von Musik als willkommenem Vehikel unterschwelliger Stimulanz. Und wenn gar die Aktiven selbst, also die Musikberater, schon zugeben, bei jedem erklingenden Musikstück automatisch Bilder zu sehen - einerlei, ob nun Pop- oder Jazzmusik, Bach, Mozart oder Techno - so lässt dies tief blicken. Hat sich nicht längst unsere gesamte Hörkultur dahin entwickelt, dass wir bei jeder Art von Musik sofort auch Bildinhalte suchen, wie sie etwa die Videoclip-Kultur permanent bereithält?! Während auf dem Popsektor seit längerem schon der Sound allein nicht mehr ausreicht und zu jeder Neuerscheinung prompt ein entsprechendes visuelles Image mitgeliefert wird - Stichwort "Sinnlichkeit" - ist auch im Umgang mit klassischer Musik Ähnliches zu beobachten. Auffällig ist zumindest, dass die Publikumsrenner auch hier vorwiegend solche Musiken sind, die ein ganz bestimmtes "Programm" mitliefern: Vivaldis "Vier Jahreszeiten", Beethovens sogenannte "Pastorale", Smetanas "Moldau", Griegs "Peer Gynt-Suite", nicht zu vergessen natürlich die "Bilder einer Ausstellung" oder den "Zarathustra", der wiederum sein endgültiges Image durch Kubricks Film 2001 - Odyssee im Weltraum erhielt.

"Musik im Film - das bringt irgendwie die Stimmung". "Ohne Musik? Da fehlt ganz einfach die Power" (Jugendliche an der Soundtrack-Theke)

Was sich in Dokumentarfilmen vielfach als störend und auf beinahe unverantwortliche Weise stimulierend auswirkt, nämlich die unterschwellige Vereinnahmung des Zuschauers durch Musik, das ist im fiktiven Hollywoodfilm durchaus erlaubt, ja erwünscht. Geht es doch hier in erster Linie um das Erzeugen von Kino-Illusionen. (....)


Für die frühe und bis heute selbstverständliche Liaison von Bild und Musik gibt es unterschiedliche Erklärungen. Zu den profaneren zählt sicherlich die Feststellung, dass seit altersher bei jeder Ankündigung einer Sensation oder eines öffentlichen Spektakels Musik eine Rolle spielte. Ähnlich oberflächlich und auch strittig ist die Behauptung, Musik sei zur Übertönung ratternder Projektoren unerlässlich gewesen. Etwas glaubwürdiger erscheint dagegen der Einsatz von Musik zur Überbrückung von Filmrissen. Denn diese ereigneten sich in der Tat nicht selten, sodass - fast wie ein Vorgriff auf unsere zeitgenössischen Konsumgewohnheiten - augenblicklich der Ruf nach musikalischen Zwischenakten laut wurde.

Die Auszüge aus dem Buch stehen mit freundlicher Genehmigung des Verlages bereit. Unerlaubter Nachdruck + Vervielfältigung sind strafbar. Matthias Keller © 1998 - 2007
 

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