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Cinema - Kino für die Ohren: Matthias Keller: Das Gesicht zur Stimme

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Filmmusik, Musikproduktion & Dokumentation





Printmedia: Eine Auswahl von Beiträgen zu Filmmusik und Filmkomponisten

Vampire, Ozeanpianisten und jede Menge Science Fiction

Don Davis - Aktuelles aus der Filmmusik-Szene

Filmplakat zu "Matrix"

"Matrix" heißt einer der diesjährigen großen Knaller des US-amerikanischen Kinos. Ein Film der Brüder Wachowsky ("Bound"), der auf den ersten Blick so ganz nach dem Geschmack des amerikanischen Publikums ist. Denn "Matrix" handelt von einer Welt hinter unserer "realen" Welt; und von intelligenten Maschinen, die ein ganzes Cybernet aus Lügen unterhalten, um Menschen für ihre futuristischen Zwecke einzuspannen. Ergo muß ein Computerexperte (Keanu Reeves) her, um den Alptraum zu beenden, die Welt zu erretten - wenn auch nicht unbedingt aus den Fängen des Illusionskinos. Letzteres verlangt geradezu nach Hightech-Effekten und computersimulierten Events, die vor allem eines leisten: den Glauben an die Hochtechnologie zu schüren und die Einsicht in die unabdingbare Präsenz von gesponserten Gerätschaften auf der Leinwand. Nur die Musik - die schien bisher aus einer anderen, analogen Welt übriggeblieben zu sein. Siehe "Star Wars" Teil 4 ("Die dunkle Bedrohung"/Musik: John Williams), der soeben nach der alten Rezeptur - vertraute sinfonische Klangwelten zu futuristischen Attacken auf der Leinwand - das cineastische Sommertheater passierte, wenngleich weit weniger erfolgreich als geplant. Oder "Wild Wild West" mit den Klängen von Altmeister und Ex-Westernspezialist Elmer Bernstein ("Magnificent Seven"), der sich hier immerhin ein Stück weit selbst parodierte, indem er allzu bekannte Wildwest-Idiome mit Pop-Instrumentarium kombinierte - um letztendlich aber doch der großorchestralen Hollywoodsinfonik treu zu bleiben. Nicht viel anders Jerry Goldsmith, schaffenswütig wie eh und je und mit Streifen wie "Der 13te Krieger" und "The Haunting" (Das Geisterschloss) gleich mehrfach vertreten: auch er ein deutlich ausgewiesener Anhänger sinfonischer Schule und motivisch-thematischer Technik.

Don Davis

Um es auf den Punkt zu bringen: was sich derzeit hinter Hollywoods Filmmusik-Kulissen vollzieht, ist ein Generationswechsel. Auch wenn die "Alten" und Trophäen-Überhäuften nach wie vor kräftig mitmischen. Und um auf "Matrix" zurückzukommen: sein filmmusikalisches Erscheinungsbild ist das vielleicht avancierteste der letzten Zeit. Bedient es doch, auf durchaus faszinierende Weise, ein neues audio-visuelles Image, das ganz aus der Action-Perspektive gestaltet ist: geräuschbetont, effektgeladen, fragmentarisch. Wer in Don Davis' "Matrix"-Score nach melodiösen Streicheleinheiten sucht, sucht weitgehend vergebens. Was er stattdessen findet, ist ein wahres Feuerwerk an avantgardistischen Vokabeln, die perfekt Bilder und Handlung unterstützen, dabei aber gleichzeitig auch musikalische Eigengesetzlichkeiten über Bord werfen. Eben weil hier die visuelle Dramaturgie den formalen Ablauf vorgibt. Nicht nur wird die so freigesetzte punktuelle Struktur der Musik zum unentrinnbaren Thriller-Element; sie knüpft zugleich an einen spätestens seit "Der Exorzist" oder "Das Omen" fest etablierten Hollywood-Antagonismus an: nämlich denjenigen der teuflisch schönen Dissonanz. Will sagen: heile Harmonik für intakte Filmwelten, experimentelles, disharmonisches Vokabular in der Tradition Strawinskys, Stockhausens oder Lutoslawskys für die befremdliche Sphäre, wie sie in "Matrix" besonders dominant zutagetritt. Hätte Davis zu "versöhnlicheren" Mitteln gegriffen (erst ganz am Ende klingen diese zaghaft an), so wäre dem Zuschauer nach dem Star Wars-Prinzip ein emotionaler Ausweg geblieben. Daß er es aber nicht getan hat und stattdessen ein äußerst komplexes und elaboriertes Klangwerk schuf, ist einer der Gründe dafür, dass dieser futuristische Alptraum über weite Strecken als buchstäblich unentrinnbar empfunden wird. Versöhnliches winkt bestenfalls von den diversen Songs, die auf einer Extra-CD (Warner) vertrieben werden und beispielsweise in den USA dazu führten, dass der eigentliche Soundtrack (Varèse Sarabande) erst mit vertraglich erzwungener Verzögerung in die Läden kam.

Davis' Score gegenüber muten die übrigen filmmusikalischen Ereignisse der jüngsten Zeit eher harmlos an. Etwa John Carpenters Musik zu "Vampires", in welcher der Ober-Vampirist und Meister des Horror-Schockers wieder einmal höchstpersönlich für die Musik sorgte. Das Ganze wohl zur Freude aller Rock-Fans und Verehrer drum-lastiger Sounds. Denn Carpenters Album (Milan) ist vollmundig und überaus sonor abgemischt und präsentiert den Regisseur als musikalisches Multi-Talent (Keyboards, Piano, Gitarre, Bass) im Kreise seiner eigenen Formation, The Texas Toad Lickers genannt.

Jerry Goldsmiths Musik zu "Der 13te Krieger" (mit Antonio Banderas in der Titelrolle) wurde bereits erwähnt: sie ist, mitsamt Horngebläse à la Hans Zimmer, dem obligatorischen Chor und den allgegenwärtigen Orientalismen ein schönes Stück Hollywoodsinfonik der herkömmlichen Art. Pralle Ausstattungsmusik für einen ebensolchen Film, dessen Handlung uns von Bagdad aus auf die Spuren der alten Vikinger bringt und wieder einmal auf einem Bestseller von Michael Crichton ("Jurassic Park") basiert. Weitaus erträglicher dagegen jene andere Goldsmith-Score zu "The Haunting", in der der Meister an seine einstige Horror-Domäne ("Das Omen") anknüpft und entsprechend allerhand Unorthodoxes auf hergebrachtem Orchesterinstumentarium anstellt (Varese Sarabande).

Blieben noch zwei Filmmusik-Größen zu nennen, die sich bislang beide einigermaßen fernhielten von der dreamfactory Hollywood. Der eine, weil er ganz einfach lieder in seiner Heimat Italien produziert und schafft; der andere, weil er ursprünglich großwurde im Ambiente des sogenannten Indpendent-Films: die Rede ist von Ennio Morricone und Howard Shore ("Das Schweigen der Lämmer").

Nach "Bulworth", von und mit Warren Beatty, hat sich Morricone nun zu einem Sujet aufgezwungen, das so ganz nach seinem Geschmack zu sein scheint. Nicht nur, weil der Regisseur Giuseppe Tornatore heißt ("Cinema Paradiso"), sondern weil auch die Handlung wieder einmal ein Musikinstrument als Mittelpunkt hat, an das der Meister seine filmmusikalischen Einfälle hängen konnte - und welches ihn vor allem als quasi Handelnden ins Filmgeschehen einbezieht. "Die Legende vom Ozeanpianisten" (Soundtrack bei Sony) erzählt die anrührende Geschichte des Findelkindes Neunzehnhundert, das seinen Namen jener Schicksalsnacht verdankt, da es an Bord der "Virginian" ausgesetzt wurde, nämlich der Silvesternacht 1899/1900. Entsprechend nostalgiebeseelt ist denn auch das musikalische Hauptthema. Es knüpft unverkennbar an die Klanglichkeit von Deborahs Thema aus "Es war einmal in Amerika" und ähnliche Themen an und läßt dem Hörer wieder einmal die Wahl, ob er dies nun als geniales Markenzeichen werten mag oder aber als sounddsovielte Auflage eines gewissen Morricone-Stereotyps. Was neu ist, ist hingegen die Koppelung mit Jazzmusikalischem, und zwar nicht nur als instrumentale Schichtung sondern auch als regelrechte stilistische Begegnung. Das Ergebnis ist ein mitunter befremdliches Zusammentreffen von opernhafter Italianità und amerikanschem U-Musik-Idiom. Besonders "strange" aber ist der Schlußsong "Lost Boys Calling", verfaßt vom Autorenduo Morricone (Musik) und Pink-Floyd-Sänger Roger Waters (Text).

Während also Morricone auf seine alten Tage nun offenbar doch noch eingeholt wird vom amerikanischen Song-Kommerz, kehrt Howard Shore zu seinen Wurzeln zurück. Und diese liegen in der Zusammenarbeit mit dem kanadischen Regisseur und einstigen Schulkameraden David Cronenberg. Dessen Film "eXistenZ", in Berlin und andernorts bereits preisgekrönt, knüpft an fühere Sciencefiction-Filme wie "Scanners", "Die Brut" oder "Videodrome" an. Mit einer Musik allerdings, die inzwischen weitaus abgeklärter - um nicht zu sagen monotoner erscheint. Nicht nur, dass die Score - eingespielt wieder einmal mit Shores Lieblingsorchester, dem London Philharmonic - vielfach an Sujets wie "Cop Land" erinnert: auch basiert jede der 20 Musiknummern des Soundtracks (BMG) auf derselben zentralen Tonart d-moll. Nicht ohne Grund, wie Shore erklärt: "Ich weiß nicht, ob du jemals Videogames gespielt hast. Die Musik sorgt dort für die gewisse Stimulans und wiederholt sich ständig. Das gehört zum Spiel dazu. In diesem Sinne arbeitet auch meine Musik zu "eXistenZ"; sie ist nicht wie herkömmliche Filmmusik angelegt sondern auf einer anderen Bewußtseinsebene: jedesmal wenn sie erklingt, weißt du, dass das Spiel beginnt. Wobei man als Zuschauer oft nicht sicher ist, ob man nun selbst im Spiel drin ist oder nicht - was Wirklichkeit ist und was nicht." Shores Musik - nicht nur diejenige zu "eXistenZ" - kommt in fast idealer Weise dem nahe, was Bernard Herrmann einmal als poor quality music mit simplen Strukturen bezeichnete: gerade ihr repetitiver Charakter, die immergleichen Harmonien und Blechbläser-Phrasen, gepaart mit den unverkennbaren "lethargischen" Streichern, geben den idealtypischen Background ab für einen Psychotrip der besonderen Art. Shore: "Ich versuche, Raum zu lassen für die Emotionen des Zuschauers. Das heißt, meine Musik erzählt nicht etwa die Geschichte sondern arbeitet mehr auf einem Sub-Level, im Kontext zu dem was man sieht. Das Ganze soll zu einer totalen Erfahrung zusammenschmelzen: Bilder, Dialoge, Soundeffekte und Musik." Hierzu gehört auch, dass Shore - wie so häufig - Orchesterklänge und Synthesizer-Sounds mischt, ja dass er vor allem den orchestralen Klangkörper im nachhinein manipuliert und de-komponiert, indem er bei der Abmischung die Lautstärkeverhältnisse verschiebt, ursprünglich Lautes in den Hintergrund verpflanzt und Leises nach vorne holt. Die Musikaufnahmen selbst fanden in drei Phasen statt: in London, Moskau und New York. Moskau wurde deshalb mit einbezogen, weil Shores Partitur unter anderem ein Theremin vorsieht - jenen frühen elektronischen Klangerzeuger, den schon Miklós Rózsa 1945 in Hitchcocks "Spellbound" verwendete. Und da Lydia Kavina, eine der wenigen weltweit, die dieses Ätherwellen-Instrument bedienen können, damals nicht reisefähig war, mußte ihr Part in Moskau aufgenommen werden. Das Gesamtergebnis ist eine Art akustischer Analogie zu Cronenbergs filmischem Videogame, das den menschlichen Organismus selbst als Spielgerät miteinbezieht und das Nervensystem als Leiterbahnen für ein perfide-existentialistisches Spiel benutzt. Für den traumatischen Effekt sorgt dabei vor allem Shores Musik, die in ihrer minimalistischen Bechaffenheit einmal mehr die Distanz zum main stream à la Hollywood bekundet. Schwer vorstellbar jedenfalls, dass solche Klänge via CD womöglich Bestsellerquoten erzielen könnten wie etwa Hans Zimmer sie erreicht. Shore: "Das Gegenteil ist interessanterweise der Fall. Es hat sich gezeigt, dass sowohl Kritiker wie Fans extrem positiv auf den Soundtrack reagieren. Die Hörerfahrung ist einfach eine andere: versuch es zum Beispiel mal mit Kopfhörer, in meditativer Entspannung. Im übrigen war es nie mein Ansatz, populäre Melodien zu schreiben, die jedermann auf der Straße vor sich hinsummt. Ich komponiere für Filme - wo immer mich das hinführen mag. An populäre CD-Erfolge denke ich dabei überhaupt nicht."

Matthias Keller

Biografie Howard Shore

Howard Shore wurde 1946 in Toronto geboren. Sein musikalischer Background liegt im Bereich Jazz- und Rockmusik. In den späten 60er Jahren war Shore u.a. Saxophonist der bekannten kanadischen Jazz-Rock-Formation Lighthouse. Seine Musikausbildung erhielt er an der Berklee School of Music in Boston, Massachusetts. 1975-1980 war er musikalischer Leiter amerikanischen TV-Show "Saturday Night Live". David Cronenbergs "The Brood" (1979) war Shores erste offizielle Filmmusik. Es folgten weitere Cronenberg-Titel wie "Scanners" (1980), Videodrome" (1983), "The Fly" (Die Fliege/1986), "Dead Ringers (Die Unzertrennlichen/1989), "Naked Lunch" (1990) und "Crash" (1996). "eXistenZ" ist Shores insgesamt neuntes gemeinsames Projekt mit Cronenberg. In die Top-Liga der Filmkomponisten stieg Shore endgültig durch die Musik zu Jonathan Demmes "Silence of the Lambs" (Das Schweigen der Lämmer/1991) auf. Ebenfalls für Demme schrieb er 1993 die Musik zu "Philadelphia", gefolgt von so populären Titeln wie "Sliver", "The Client", "Ed Wood", "Nobody's Fool", "Seven", "Cop Land" und "The Game". Shores künstlerisches Credo ist nach wie vor der experimentelle bzw. der independent-Film. Viele seiner Musiken sind aus der Improvisation heraus entwickelt. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Los Angeles Critics Award der kanadische Genie Award, der Gotham Award sowie diverse Nominierungen für den Bafta Award und den Grammy.

Matthias Keller

Novemberheft 99
 

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