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Cinema - Kino für die Ohren: Matthias Keller: Das Gesicht zur Stimme

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Printmedia: Eine Auswahl von Beiträgen zu Filmmusik und Filmkomponisten

Zwischen Batman und Othello

Elliot Goldenthals Ballett "Othello" in New York

Hierzulande ist er, wenn überhaupt, ein Begriff als Filmkomponist. Auch auf anderem Terrain tat er sich in der Vergangenheit hervor durch Werke wie sein Vietnam-Oratorium "Fire - Water - Paper" oder "Juan Darien", letzteres eine Art karnevalistisches Mysterienspiel. Jetzt erhielt Elliot Goldenthal, geboren 1954 in Brooklyn, vom American Ballet Theatre den Auftrag zu einem Ballett-Dreiakter mit dem Thema "Othello". Die Uraufführung fand im April in San Francisco statt, die New Yorker Premiere Anfang Juni in der Metropolitan Opera. Anlaß genug für Matthias Keller, Goldenthal zu besuchen und mit ihm über ein gleichermaßen buntschillerndes wie mancherorts beargweöhntes Allround-Dasein zu sprechen.

Elliot Goldenthal
in seinem New Yorker Atelier

Im Eingangsbereich von Goldenthals Atelier-Räumen im 10. Stock eines Manhattener Bürohauses: ein Meer von Blumenbouquets und Gebinden. Denn hier residiert nicht nur Elliot Goldenthal sondern ebenso seine Berufs- und Lebenspartnerin Julie Taymor, die gerade kürzlich mit zwei Tony Awards für ihre Broadway-Inszenierung des Lion King ausgezeichnet wurde. Mit ihr zusammen entstand beispielsweise auch "Juan Darien", ein getanztes Bühnenstück voll bizzarrer musikalischer Idiome und Exotismen.

Das genau ist es, was den Besucher hierhin geführt hat: Goldenthals wörtlich zu nehmender Crossover-Nimbus; die scheinbare Leichtigkeit und Unbekümmertheit, mit welcher er in seinen Kompositionen fremdartigstes Material nebeneinanderstellt - musikhistorische Generationensprünge rückwärts vollführt und sie gleichzeitig kombiniert mit Idiomen des 20. Jahrhunderts. Das elektronische Medium nicht zu vergessen, die Plastik-Welten einer Batman-Verfilmung, das historisierende Gewand eines "Michael Collins"-Films; alsdann die tiefgründig-ernsten Klänge seines Vietnam-Oratoriums "Fire - Water - Paper", konterkariert wiederum von denen einer so skurrilen Filmpartitur wie "Butcher Boy". Und jetzt ein so tragischer Stoff wie "Othello" mit einer Partitur, die für mich persönlich zum Besten gehört, was die zeitgenössische Musik in letzter Zeit hervorgebracht hat.

Wir alle sind aus Glas

Wie geht das alles zusammen? Wirft diese Existenz zwischen den Stilen, den Genres und den Idiomen nicht früher oder später das typische Identitätsproblem auf?

Goldenthal: "Batman ist für mich ein wichtiger Bestandteil westlicher Kultur, ich meine das Medium des Wegwerf-Comic. Es ist eine der signifikantesten Hervorbringungen unseres Jahrhunderts, deren künstlerischen Wert uns Personen wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein zu begreifen gelehrt haben. Ich vergleiche es immer mit tibetischer Kunst, so wie bei den Sandmandalas in Martin Scorseses "Kundun": du malst etwas in den Sand, und der Wind bläst es davon. Ähnlich mit Batman: er ist eine Kult-Figur, eben weil er nicht ernst gemeint ist - und dabei doch ständig mit mythischen Themen spielt, durchaus vergleichbar einem "Parzival" oder einem "Freischütz" - mythische Themen mit Wegwerf-Image."

Tatsächlich ist es gerade Goldenthals musikalischer Beitrag, der den betreffenden Kultstreifen (Batman Forever und Batman & Robin) diese tiefere Bedeutsamkeit verleiht, seine dutzendfach dort anzutreffenden "geklauten" Idiome und Parodien von Bruckner über Mahler, Strauss und Prokofieff bis hin zu ureigenem Goldenthal. Sofern es diesen überhaupt gibt.

"Alle klassischen Komponisten sind und waren gute Kopierer. Mozart zum Beispiel war eine gute Kopie von Johann Christian Bach. Der wiederum war ein guter Kopierer Telemanns. Strawinsky ließ sich von der russischen Volksmusik beeinflussen, Aaron Copland seinerseits von Strawinsky, aber auch vom Jazz. Charlie Parker hörte auf Lester Young; Dizzy Gillespie lauschte bei Roy Aldridge ab, der wiederum bei Louis Armstrong. Schostakowitsch nahm von Prokofieff, der nahm von Glinka und so weiter. Das ist nicht Kopieren sondern sich beeinflussen lassen. Ich glaube, dass es ziemlich borniert ist und auch dumm, zu meinen, man lebe ausschließlich in seiner Zeit. Es ist absolut kurzsichtig zu denken, du lebst nur fünfzig oder siebzig Jahre und kannst dich daher nicht beziehen auf Generationen vor dir, sagen wir zwei oder drei Generationen oder sogar acht oder neun. Ich persönlich begreife Musik weniger als chronologische Reihenfolge sondern vielmehr als eine Art Baum - als einen Baum mit unzähligen Ästen und Verzweigungen, auf die man sich gelegentlich bezieht."

Derartige Bezüge sind auch in "Othello" zu hören, einem abendfüllenden Ballett, das in seiner Dimension als Dreiakter nicht nur für den amerikanischen Kontinent ein Novum darstellt sondern auch aus hiesiger Sicht, wo das Ballett-Genre ebenfalls seit Jahrzehnten auf neue Impulse wartet.

Solche nun gibt Goldenthal, womit er einmal mehr den Beweis erbringt, dass die derzeitigen Innovationen verstärkt aus dem Lager der sogenannten "Grenzgänger" kommen - von (Film)Komponisten wie Goldenthal. "Othello" ist stilistisch gesehen keine Avantgarde sondern eine Art kultureller Zusammenschau, in der geschichtlich Ungleichzeitiges sowie Hoch- und Subkultur in die Synchronität gezwungen werden: Elemente von ritueller Archaik über minimal music, Jazz und Neoklassizismus bis hin zu typischem Filmmusik-Vokabular. Wobei die Gesamtwirkung keineswegs die eines gestylten Pastizzios ist sondern - dank Goldenthals filmerfahrener Regie - durchaus Werkcharakter erhält.

Interessant ist dabei seine leitmotivische Technik, die nicht allein auf prägnanten Kernthemen basiert sondern auf kompakten Idiomen, auf eben jenen musikhistorischen "Versatzstücken", deren Bedeutungskontext sich Goldenthal zielsicher zunutze macht. Beispielsweise im pas de deux Othellos (Desmond Richardson) und Desdemonas (Sandra Brown), welcher wohl nicht von ungefähr in der Bruckner-Mahler-Sphäre des Wiener fin de siècle versinkt: als tönender Metapher für ein zuendegehendes, trügerisch-idyllisches Zeitalter.

Ein weiteres Schlüsselelement in Goldenthals Partitur ist die Glasharfe, die ihren luziden Schleier gleich zu Beginn des Dramas über die Szene wirft und auch für das Bühnenbild (George Tsypin) den Dreh- und Angelpunkt bildet: Glas ist hier der Stoff, aus dem die shakespear´schen Alpträume gemacht sind. Gläserne Säulen, gläsernes Geschichts-Dekor, ein gläserner Thron schließlich, mit dem alle Fragilität der Macht umrissen sein soll.

Goldenthal: "Mit Othello sagt uns Shakespeare, dass wir alle nur wie Glas sind. Daß wir jederzeit fallen können und zerbrechen. Unsere Empfindungen sind sehr leicht zu erschüttern, und deshalb ist Glas eine der wichtigen Metaphern dieser Inszenierung. Übrigens wurde die Glasharfe von einem amerikanischen Staatsmann erfunden, nämlich von Benjamin Franklin."

Der war bekanntlich auch Urheber der Erkenntnis Zeit ist Geld - einer Erkenntnis, unter deren Fuchtel der Ballett-, Film-, Konzert- und Theaterkomponist Elliot Goldenthal tagtäglich steht. Ist er doch musikalischer Hoffnungsträger einer Gesellschaft, die wie kaum eine andere auch den kulturellen Bereich unter die Regie des Dollars beugt. Das mag auf Goldenthal abgefärbt haben, der die typische Mischung aus Idealismus und Pragmatismus ausstrahlt: stets übernächtigt aufgrund irgendwelcher Filmmusik-Mischungen im Studio, stets gedanklich auf dem Sprung zu einem seiner parallelen Projekte, nervös und konzentriert gleichermaßen und auf diese Weise eine Art leibhaftiges work in progress.

Ein workoholic zweifellos, aber einer mit Charisma. Als Sohn eines Maurers und Anstreichers entstammt Goldenthal nicht unbedingt jenen begüterten Kreisen, aus denen - zumindest in Europa - normalerweise Musikerkarrieren hervorgehen. Doch scheint sein Elternhaus exakt jenen Liberalismus praktiziert zu haben, der aus hiesiger Sicht als "typisch amerikanisch" gilt und der noch heute etwas von jenem sprichwörtlichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat. Klavier und Trompete waren Elliots erste Instrumente, die er lernte. Und das Kino, so erinnert er sich, hatte es ihm bereits früh angetan.

Frühe Liebe zum Medium

"Das habe ich immer genossen; es gab da ein ganz bestimmtes Filmtheater in New York, wo man die großen Klassiker sehen konnte - "Citizen Kane" oder die großen John Ford-Filme, Fellini, Murnau: sie alle nutzten dieses konkrete Kino, in das ich schon als kleiner Junge Woche für Woche ging. Und ich kam schnell dahinter, dass dies ein Medium sein könnte, in dem auch ein Musiker seinen Platz findet. Ein ziemlich aufregender Gedanke: dass du auch in diese Richtung gehen kannst, ebensogut, wie sich für Kammermusik zu entscheiden, Theater, Jazz oder dergleichen."

Später ging Goldenthal dann auf die Manhatten School of Music, wo er bei John Corigliano und Aaron Copland studierte. Beides Lehrer mit einem bekanntermaßen breitgefächerten Spektrum - bis hin zur Filmkomposition. Copland beispielsweise schrieb 8 Filmpartituren, erhielt sogar den Oscar ("The Heiress"), Corigliano seinerseits vertonte ebenfalls mehrere Filme (z.B. "Altered States") und wird übrigens in Kürze mit seiner neuen Musik zu "The Red Violin" in den Kinos zu hören sein.

"Beide haben mir eigentlich beigebracht, dass es extrem gesund für einen Musiker ist, sich in verschiedenen Medien zu bewegen. Auf diese Weise habe ich rasch herausgefunden, dass für mich die dramatische Arbeit das Wesentliche ist. Selbst wenn ich ein Konzert schreibe, denke ich immer in dramatischer Richtung. Nehmen wir zum Vergleich Richard Strauss oder eine frühe Mahler-Sinfonie: es hilft einfach, ein "Programm" zu haben."

Charakterlich allerdings identifiziert sich Goldenthal kaum mit jener Ära von Programmusik und Geniekult, die in seinen Augen die Keimzelle avantgardistischer Verkopfung und schöpferischen Einmaligkeits-Anspruchs darstellt.

"Dies ist in der Tat ein großes Problem, welches uns das 19. Jahrhundert beschert hat. Aber in Wahrheit sind auch diejenigen, die sich als einzigartig darstellen, immer Schwindler gewesen. Denn sie alle sind mehr oder weniger ein Teil musikgeschichtlicher Vergangenheit: Schönberg, der genauestens Brahms studierte; Webern mit seiner Johann-Strauß-Affinität; Alban Berg, der sehr von Mahler beeinflußt war.

Und selbst Strawinsky, als der vielleicht individuellste aller modernen Komponisten, hat zwanzig Jahre lang in Anlehnung an Debussy gearbeitet. Für mich spielt es wirklich keine Rolle, ob du eine individuelle Stimme hast: was zählt, ist die Bewegung"

Wobei das amerikanische Wort moving, das Goldenthal in diesem Zusammenhang gebraucht, durchaus doppeldeutig ist: sich bewegen und andere bewegen.

In diesem Sinn verfolgt der junge Erfolgskomponist, der seine Herkunft als Arbeiterkind niemals verleugnet hat, äußerst konsequent sein Ziel. Die Freiheiten, die er sich in "Fire - Water - Paper" herausnimmt, indem er westliche mit Fernost-Elementen kreuzt; oder die schroff-archaische Wildheit in "Juan Darien" (beide erschienen bei Sony) und nicht zuletzt seine filmmusikalischen Querverweise auf sattsam Vertrautes: alldas dient letztlich nur dem einen Ziel: den Hörer zu erreichen. Und wenn dies auf der Basis sprachlicher Übereinkunft geschieht - umso beseser. So auch in "Othello", dessen Partitur so kraftvoll und süffig ist wie das Leben selbst.

"Beethoven zum Beispiel war ein sehr guter Filmkomponist. Denken wir an "Egmont": da gibt es 1-Minuten-Schnitte, 30-Sekunden-Einstellungen, die völlig frei sind von jenem musikalischen Entwicklungsdenken, für das Beethoven steht. Und was Beethoven uns damit sagt, ist, dass es da noch eine andere Form gibt - nicht wie die Große Fuge oder vergleichbare Stücke. Ein einfaches Thema, das etabliert wird und in dramatischem Kontext arbeitet - nicht mehr. Es sitzt da und schafft diese Atmsophäre. Und Beethoven wußte, dass er ein sehr guter Filmkomponist war. Vor allem kannte er den Unterschied zwischen dem einen und dem anderen und versuchte (in "Egmont") nicht, Fugen zu schreiben und mit seinen Talenten zu prahlen. Alles was er tat, war Themen für die Bühne zu schaffen, und damit auf die Differenz zwischen Konzertpodium und der Filmmusik hinzuweisen."

Aber noch eine weitere Façette hat Elliot Goldenthal zu bieten. Er gilt, insbesondere in Filmmusik-Kreisen, als begnadetes Allround-Talent zwischen Orchester-Klängen und der Verwendung elektronischer Mittel. Mit letzteren schafft er den inzwischen so wichtig gewordenen Brückenschlag zum SoundDesign, jenem Metier, das gerade in aktionsreichen Filmen wie "Batman" oder "Demolition Man" zentrale Bedeutung hat. Wobei er sich jedoch gleichzeitig deutlich abgrenzt:

"Sound-Effekte sind für mich, wenn man beispielsweise an ein Glas schlägt und es gibt ein bestimmtes Geräusch. Oder Fußschritte. Aber wenn etwas surrealistisch wird, nach musikalischen Gestzmäßigkeiten organisiert, dann liegt das bereits jenseits der reinen Sound-Effekte. Wenn etwa Bernard Herrmann in "Psycho" die Messerstiche mit diesen (kreischenden) Violinen koppelt, dann ist das die traumartige Reduktion eines Klanges. Denn er nimmt das Geräusch und formt es um in Poesie."

In diesem Sinne macht auch Goldenthal, gerade in seinen Filmmusiken, vielfach Gebrauch von der Urkraft vor-musikalischer Geräusche, läßt metallisches Schwerterklirren, phonstarke crash-Effekte und andere maschinelle Elemente in den Soundtrack miteinfließen: als eine späte Hommage an musique concrète. Zugleich aber auch als einen Versuch, die banale Sphäre ebenso banaler Soundattacken künstlerisch zu beflügeln.

Matthias Keller

Augustheft 98
 

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