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Cinema - Kino für die Ohren: Matthias Keller: Das Gesicht zur Stimme

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Filmmusik, Musikproduktion & Dokumentation





Printmedia: Eine Auswahl von Beiträgen zu Filmmusik und Filmkomponisten

Oldies, Goldies, Softies und Groovies

Alfred Newman und die Klassiker

Robert Townson scheint derzeit der große Mann der Stunde zu sein. Jetzt, wo der CD-Markt, insbesondere der klassische einen Erdrutsch nach dem anderen verzeichnet, eine Schließung nach der anderen, wird am Ventura Boulevard in L.A. erst recht gepowert. Man fragt sich, wer sie alle kaufen soll, diese Soundtracks, die da von Townson und seiner Varèse-Crew im Eiltempo auf den Markt geworden werden - häufig noch bevor die betreffenden Filme anlaufen. Doch das Geschäft scheint zu laufen, wie mir Townson beim Lunch im Hause North (Alex North´ Witwe Anna hat eingeladen) versichert. Filmtitel machen die Runde, große Namen und Erinnerungen an erleuchtete Momente der Filmmusik-Geschichte. Alldas verquickt mit Brandaktuellem: Goldenthals "Othello" hat er in einer Art Eilentscheidung rausgebracht - nachdem er die Premiere in San Francisco gehört hat; just in diesen Minuten nimmt Jerry Goldsmith auf der berühmten "Scoring Stage 1" bei 20th Century Fox (sie heißt jetzt übrigens Alfred Newman Stage) seine Musik zu "Small Soldiers" auf.

Und apropos: haben Sie schon "Viva Zapata" gehört? Womit wir bei den Klassikern wären, Vorzeigestücken der Filmmusik, zu denen Alex Norths "Zapata" ohne jede Frage gehört. Jerry (Goldsmith) hat sich dieser Partitur angenommen, überhaupt der "Akte Alex North", jenes vielleicht wichtigsten Impulsgebers der amerikanischen Filmmusik, der 1991 an einem Krebsleiden starb. "2001 - Odyssee im Weltraum" hatte 1993 den spektakulären Anfang gemacht, gefolgt von Titeln wie "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" und "Endstation Sehnsucht" - jener Partitur, mit der North seinerzeit die filmmusikalischen Hörgewohnheiten am nachhaltigsten erschütterte. Nun also "Viva Zapata" (1952), und wieder zusammen mit dem National Philharmonic unter Goldsmith´s Stabführung. Das Ergebnis (Varese Sarabande VSD 5900) ist ein wahres Feuerwerk filmmusikalischer Inbrunst, wie sie zwar im Werk selbst bereits angelegt ist, wie sie aber erst durch ein first class-Orchester wie das National Philharmonic so richtig zur Geltung kommt: all die temperamentvoll überschäumenden "Mexikanismen", die nicht etwa gefiltert sind durch die typische Hollywood-Brille sondern vielmehr Norths langjährige Auseinandersetzung mit der mexikanischen Musikkultur widerspiegeln. Seine enge Beziehung zu Silvestre Revueltas, mit dem er wiederum auf Umwegen über die Tänzerin Anna Sokolow zusammenkam. Denn diese war es, die North bereits Anfang der 40er Jahre für ein Projekt nach Mexiko mitnahm und damit eine leidenschaftliche Affäre entfachte, deren künstlerischem Nachhall wir nun in "Viva Zapata" wiederbegegnen können. "Keine meiner mexikanisch basierten Geschichten und Charaktere hätte wohl jemals dieseselbe emotionelle Ausstrahlung gehabt ohne den Einfluß Revueltas", resümierte North später. Und voll Dank erinnerte er sich auch daran, dass ihn Regisseur Elia Kazan bei "Zapata" bereits in einer ganz frühen Projektphase miteinbezogen habe. Gemeinsam bereiste man Land und Leute, schnappte - nach Art Bela Bartoks - hier und da genuines Folklore-"Material" auf und war auf diese Weise tatsächlich vertraut mit der anderen Kultur. Was freilich nicht verhinderte, dass Norths durchaus avantgardistische Crossover-Score im Film selbst diversen Misch-Manipulationen unterzogen wurde und mithin das typische Schicksal vieler Filmscores erlitt. Kazan selbst schließlich faßte seine diesbezüglichen Schuldgefühle in die Worte "Die Score war first class. So wie Du´s ja immer gemacht hast. Wenn nicht besser. .... Ich hatte nur das Gefühl, dass alles zu weit runtergemischt und der Musik auch dort niemals die Oberhand gelassen wurde, wo sie sie hätte haben müssen." - Umso tröstlicher, das Werk nun in einer technisch wie musikalisch brillanten Neueinspielung hören zu können, erweitert um ein kurzes musikalisches "Vorwort", welches Produzent Townson beim Sichten des Urmaterials fand, welches jedoch im Film selbst fehlt.

Nie gespielte Filmmusik

Und gleich noch einen Trumpf zieht der gebürtige Kanadier aus dem Ärmel: Bernard Herrmanns berühmte "Torn Curtain"-Musik - berühmt geworden vor allem dadurch, dass diese im Film selbst niemals zu hören war. Denn Hitchcocks rasantes Spionageabenteuer um einen amerikanischen Physik-Professor, der sich nach Ost-Berlin absetzt, entstand 1966 im Schatten der britischen James-Bond-Serie und war als amerikanisches Konkurrenzprodukt gedacht. Vorausgegangen war außerdem ein äußerst mäßiger box office-Erfolg von Hitchcocks "Marnie" (1964), sodass "Torn Curtain" (Der zerrissene Vorhang) unter denkbar angespannten Vorzeichen stand. Das Studio (20th Century Fox) dachte an eine Großoffensive, kombiniert aus Film und Soundtrack. Letzterer sollte ebenfalls gut verkäuflich sein und deshalb eher populärer Natur sein: mit eingägniger Titelmusik, Liebesthema und - siehe "James Bond" - Songs mit Wiedererkennungswert. Daß dergleichen mit einem Filmkomponisten wie Bernard Herrmann kaum zu machen war, dürfte auch Hitchcock von Anfang an klargewesen sein, weshalb denn auch die Vorgespräche umfangreicher denn je zu vor gewesen waren. Der Eklat jedoch folgte auf dem Fuße, und zwar während der ersten Orchesteraufnahmen in Los Angeles. Während die beteiligten Musiker dem Komponisten bereits nach dem "Prelude" applaudierten, muß Hitchcock beim Betreten des Studios der Schlag getroffen haben: der Klangkörper, den er dort vorfand, setzte sich zusammen aus 16 Hornisten, 12 Flötisten, 9 Posaunisten, 2 Tubaspielern, 8-fach besetzten Celli und 8-fach besetzten Kontrabässen - der typischen Herrmann-Instrumentierung eben. Der Rest ist Legende. Herrmann erhielt die rote Karte, John Addison kam als "Auswechselspieler", und die Musik als solche verschwand bis auf Weiteres in den Fox-Archiven - zutagegefördert nun wiederum durch den Soundtrack-Afficionado Robert Townson. Joel McNeely, selbst ein gefragter Filmkomponist, ist der Dirigent der vorliegenden Einspielung (Varese Sarabande VSD-5817), die wiederum mit dem National Philharmonic Orchestra zustandekam. Ähnlich wie in der vorausgegangenen "Psycho"-Neuaufnahme, waltet auch hier wieder akribische Detailtreue, die sich nicht nur in einer filmgemäßen Reihenfolge niederschlägt sondern vor allem in den adäquaten Tempi. Allein in diesem Punkt sticht McNeelys Aufnahme jene kürzlich erschienene des Los Angeles Philharmonic unter Salonen auf Anhieb aus. Alsdann kann sie für sich in Anspruch nehmen, die erste vollständige Veröffentlichung des Werkes zu sein, kompromißlos den Intentionen seines Urhebers folgend.

Kommerziell weitaus handsamer muten die Filmscores Alfred Newmans an, des Mannes, der wie kein anderer mit dem Namen 20th Century Fox und dem sogenannten Golden Age der Filmmusik in Verbindung steht. Ein goldenes Zeitalter war Newmans musikalische Regentschaft bei der Fox (1939-1962) schon insofern, als sie die Ära des Studio-Systems verkörpert, jene Zeit, in der jedes große Filmstudio in Hollywood sein eigenes music department unterhielt: mit einem ganzen Stab von Top-Komponisten, Sub-Arrangeuren, Kopisten und Bibliothekaren - bis hin zum eigenen Orchester-Klangkörper, der dem Niveau eines klassischen Symphonieorchesters in keiner Weise nachstand. Grund genug für Varese Sarabande, nun ein entsprechendes Album herauszubringen, auf dem wir in kleinen Appetithäppchen so manch großer Partitur wiederbegegnen, digital remastert direkt vom Archivmaterial. Eingerahmt ist das Ganze von Musiken Alfred Newmans, des 9-fachen Oscar-Preisträgers und Mentors ganzer Generationen von Filmkomponisten: Hugo Friedhofer etwa ("The Rains of Ranchipur", "Violent Saturday") oder Cyrill Mockridge, Christopher Young, Bernard Herrmann; auch Jerry Goldsmith ist hier gleich mehrfach vertreten, unter anderem mit zweien seiner fühesten Werke, nämlich dem jazz-orientierten "The Stripper" (1963) und "Rio Conchos" (1964), einer Westernmusik kammermusikalisch-intimen Zuschnitts. Heute würde man vielleicht sagen "Goldsmith unplugged". Nicht zu vergessen Franz Waxman, dessen "Prince Valliant"-Opening (1954) uns stilistisch direkt zum nächsten Thema führt:

Korngold und seine Nachfolger

Seine Musik zu "The Privat Lives of Elisabeth and Essex", herausgekommen im selben Jahr wie "Vom Winde verweht", 1939, konfrontiert uns mit jenem Filmmusik-Typus, der in mancherlei Hinsicht fast zu schade war, um vom Zelluloidmedium "verwurstet" zu werden. Niemals mehr - allenfalls noch bei John Williams, dem mehr oder minder offiziellen Erben Korngold´scher Satztechnik - begegnet uns dieser Reichtum in der Melodik und Instrumentierung wie bei Korngold. Flankiert von "Robin Hood" (1938) und "The Sea Hawk" (1940), ist "The Private Lives of Elisabeth and Essex" ("Günstling der Königin"), mit Bette Davis und dem unvermeidlichen Publikumsgünstling Eroll Flynn in den Titelrollen, die vielleicht eigentständigste Filmpartitur Korngolds. Eigenständig genug jedenfalls, um bis heute das Image der Gattung "Filmmusik" hochzuhalten - falls dieses denn tatsächlich nötig sein sollte. Die vorliegende CD (Varese Sarabande VSD-5696) wurde in München von den Münchner Symphonikern unter Carl Davis eingespielt. Sie ist die welterste Aufnahme der kompletten Partitur und ist dem kürzlich verstorbenen Filmmusik-Experten Tony Thomas gewidmet.

Sechs Jahrzehnte nach Korngolds filmmusikalischem Zenith hat sich diese Funktionalität abgeschliffen. Insofern nämlich, als sich jüngere Filmkomponisten zwar nach wie vor auf die Altvorderen berufen, dieses jedoch häufig mit einer gewissen Distanziertheit tun, um nicht zu sagen mit einem Augenzwinkern. Kein Genre eignet sich hierzu besser als das der comedy, wo Sinfonik und deren thematisch vorbelastetes Material - übrigens auch aus der sogenannten "Unterhaltungsmusik" - mit Vorliebe zu parodistischen Zwecken benutzt wird. So zu hören in Alan Silvestris Musik zu "Mouse Hunt" ("Mäusejagd"), einem großorchestralen Klangspektakel um eine umso kleinere Hauptfigur. Diesmal ist nicht Kevin allein zuhaus sondern eine Maus, deren Idyll in einer alten Villa mit dem Tag jäh gestört wird, an dem zwei Brüder das alte Anwesen erben und auf Vordermann bringen wollen. Der Film - wie auch Silvestris Musik - leben von der Situationskomik, welche durch das burleske Element der Musik umso stärker unterstrichen wird. Rührtrommeln, Spieluhren, Drehorgel-Klänge und eine besonders vielbeschäftigte Fagott-Fraktion sind hier die Garanten des Schmunzeleffekts. Stilistisch irgendwo zwischen Rimsky-Korssakow und Saint-Saens angesiedelt, betont Silvestris gekonnte Partitur insbesondere das gestische (Mickeymousing-)Element, das auch beim Anhören des puren Soundtracks augenblicklich evident wird (Varese Sarabande VSD-5892).

Weniger sinfonisch geht es in der Musik zu "The Replacement Killers" zu, einem East-Western mit Chow Yun-Fat (dem Gegenstück zu Kung Fu-Fighter Charlie Chan) und Mira Sorvino in den Hauptrollen. Ebenfalls mit von der Partie: die beiden Deutschen Jürgen Prochnow und Til Schweiger. Die Musik stammt von dem Engländer Harry Gregson-Williams, einem der Mitarbeiter von Hans Zimmer. Während Zimmer selbst allmählich die Nase voll hat vom puren Actiongenre und nach neuen Herausforderungen sucht - in Vorbereitung ist derzeit unter anderem ein Film von Istvan Szabo - bedient Gregson-Williams hier akkurat das Action-Genre, und zwar mit Sounds, die wir zum Teil bereits von seinem Mentor Zimmer bestens kennen: percussion-betont, voll elektronischen Raffinements und vor allem phonstark, wie es das betreffende Publikum offenbar erwartet. Phasenweise allerdings bekennt sich der Komponist ("Fräulein Smillas Gespür für Schnee") auch zu eigenen Ambitionen; immer dann beispielsweise, wenn er esoterische Sounds hören läßt, stilistisch anzusiedeln zwischen Pink Floyd und Andreas Vollenwyder.

Und noch einmal der Name Newman. Diesmal allerdings Thomas Newman, Alfred Newmans jüngerer Sohn. Als Mitglied der bis heute fortwirkenden Newman-Dynastie, hat sich der inzwischen 42-Jährige durch Arbeiten wie "The Player", "The Shawshank Redemption", "Ein amerikanischer Quilt" und "American Buffalo" einen Namen gemacht. Seine Musik ist häufig eine interessante Mixtur aus Ethnoklängen, Rhythm & Blues-Tradition und klassischen Elementen. Alldas kombiniert mit elektronischem Equipment, welches Newman als neue, zusätzliche Klangfarbe versteht. Entsprechend "strange" und ambivalent fällt auch seine Musik zu "Mad City" aus, einem Filmdrama um einen New Yorker Starreporter (Dustin Hoffman), der die zweifelhaften Spielregeln moderner Medienberichterstattung an den Pranger stellt. Wer sich beispielsweise zur Musik eines Ry Cooder ("Paris-Texas", "The End of Violence") hingezogen fühlt, der dürfte auch an Thomas Newmans faszinierenden Klangkollagen seine Freude haben. Auch, wenn diese nicht mehr das Geringste zu tun haben mit jenem Golden Age, für dessen sinfonische Klänge der Name Newman einmal als Markenzeichen stand.

Matthias Keller

Biografie Alfred Newman

Geboren am 17. März 1901 in New Haven (Connecticut), war Alfred Newman eine der einflußreichsten Persönlichkeiten der amerikanischen Filmmusik. Als ältestes von 10 Kindern wuchs er in eher ärmlichen Verhältnissen auf und machte musikalisch schon früh als "Wunderkind" auf sich aufmerksam. Durch einen privaten Förderer und Gönner kam er schließlich nach New York zu dem polnischen Komponisten und Pianisten Sigismond Stojowski. Dort gewann er gleich 2mal hintereinander beim lokalen Musikwettbewerb. Aus finanziellen Gründen wandte sich Newman bereits als Teenager dem Kino-Metier zu, indem er am Broadway im Strand Theatre in den Pausenmusiken mitwirkte. Durch seinen Wunderkind-Nimbus und gefördert durch verschiedene Gast-Stars, kam es bald zu einer Anstellung als Musical-Dirigent. Gershwins "The George White Scandals" und Jerome Kerns "Criss Cross" waren weitere Stationen auf dem Weg nach Hollywood. Dorthin gelangte Newman 1930 als Musikdirektor der Irving Berlin-Verfilmung "Reaching the Moon". Anschließend engagierte ihn Samuel Goldwyn als Arrangeur weiterer Musikfilme, was ihn schließlich dazu brachte, in Los Angeles seßhaft zu werden und seinen ursprünglichen Traum von der klassischen Dirigentenlaufbahn ad acta zu legen. 1939 wurde Newman Generalmusikdirektor der 20th Century Fox. In dieser Funktion schrieb und arrangierte er über 250 Filmpartituren, deren Realisierung er meist als Dirigent vorstand. Von seinen insgesamt 9 Oscar-Erfolgen fiel nur derjenige für "Das Lied der Bernadette" (1943) in die Kategorie "Komposition". Die übrigen waren das Ergebnis seiner Teamarbeit, für die bis heute der Name Alfred Newman steht: als Mentor, Förderer, Dirigent, Arrangeur und unermüdlicher Schaffensgeist. Zu seinen eigenen Filmmusiken gehören "Wuthering Heights" (1939), "Der Glöckner von Notre Dame (1939), "Das Lied der Bernadette" (1943), "Das Gewand" (1953) "Die größte Geschichte aller Zeiten" (1965). "Airport" (1970) war Newmanns letzte Filmmusik. Er starb am 17. Februar desselben Jahres in Los Angeles. Durch seinen Neffen Randy und seine beiden Söhne David und Thomas besteht der Name Newman bis heute in der Filmmusikszene fort.

Matthias Keller

Augustheft 98
 

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